Theoretische Grundlage
Was ist „ein gutes Leben“?
Die Referenzbudgets zeigen auf, was es für ein gutes Leben mit einem Minimum an sozialer und kultureller Teilhabe braucht.
Ein gutes Leben ist...
…ein Leben in Sicherheit ohne Zukunftsängste, umgeben von guten und netten Menschen, in einem System, wo man sich wohl fühlt und man keine Ängste hat wegen dem Einkommen.
...dass man alles hat, was man wirklich braucht und nebenbei auch noch Sachen machen kann, also Urlaub (…) oder irgendwelche Luxusdinge einkaufen, wie Süßigkeiten.
...dass man in seiner Entwicklung nicht durch Fremdfaktoren begrenzt wird, sei es wegen Geld, Stress oder fehlendem sozialem oder gesundheitlichem Netz.
…wenn man sich sein Geld richtig einteilt und trotzdem sparen kann und machen kann was Spaß macht.
…wenn man gute Gesundheit hat, in Sicherheit lebt und einen Wohnraum hat, wo man sich wohl fühlt. Dass man keine finanziellen Sorgen und nicht so ein Gefühl hat, im Dauerstress zu sein.
…wenn man also halt Freunde hat und Familie und wenn man machen kann worauf man Bock hat.
(Zitate aus Fokusgruppen mit Jugendlichen und Erwachsenen 2023/2024)
Ein gutes Leben für alle – Theoretische Grundlage
Einen theoretischen Bezugsrahmen für das „gute Leben“ bildet das Modell der Verwirklichungschancen, das vom Ökonomie-Nobel-Preisträger Amartya Sen vorgestellt und von der Philosophin Martha C. Nussbaum weiterentwickelt wurde. „Armut ist ein Mangel an Verwirklichungschancen“ definiert u.a. die Armutskonferenz in Anlehnung an Sen und Nussbaum. Einen wichtigen Ausgangspunkt bildet die zentrale ethische Frage nach dem guten Leben.
Dabei geht es nach Nussbaum nicht nur um die Verteilung von Geld, Grund, Boden, Chancen und Ämtern, sondern vor allem auch um Fähigkeiten und Tätigkeiten, die dieses gute menschliche Leben ausmachen, kurz um so etwas wie „Verwirklichungschancen“.
Zentrale menschliche Verwirklichungschancen
nach Martha C. Nussbaum
Fähig sein, das eigene Leben in Würde bis zu seinem natürlichen Ende zu verbringen.
Gute körperliche Gesundheit umfasst auch reproduktive Gesundheit, gute Ernährung und eine gute Wohnmöglichkeit.
In der Lage zu sein, sich frei zu bewegen, vor sexueller Belästigung und Gewalt sicher zu sein, Möglichkeiten der sexuellen Befriedigung zu haben und Wahlfreiheit in der Frage der Reproduktion.
In der Lage zu sein, die eigenen Sinne voll zu nutzen, sich Vorstellungen zu machen, zu denken und zu argumentieren – auf informierte und kultivierte Weise und auf dem Hintergrund einer guten Ausbildung, die auf alle Fälle Lese- und Schreibkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Mathematik und der Naturwissenschaften beinhaltet, aber auch darüber hinausgeht.
Eigene Gedanken, Vorstellungen und Meinungen zum Ausdruck bringen und in den Bereichen Religion, Musik, Literatur etc. frei anzuwenden. Ebenso Freiheit in der Religionsausübung. Freude erleben und unnotwendiges Leiden vermeiden können.
In der Lage zu sein, Beziehungen zu Menschen und Dingen herzustellen, jene zu lieben, die uns lieben und für uns sorgen, über deren Abwesenheit zu trauern, ganz allgemein in der Lage zu sein zu lieben, zu trauern, Sehnsucht, Dankbarkeit und gerechten Zorn zu empfinden. Keine Einschränkung der eigenen emotionalen Entwicklung durch Ängste zu erfahren.
In der Lage zu sein, sich eine Vorstellung vom guten Leben zu machen und den eigenen Lebensplan auf kritische Weise zu reflektieren.
- In der Lage zu sein, mit und für andere zu leben, Sorge für andere zu empfinden und zu zeigen, sich in unterschiedliche Formen sozialer Interaktion einzulassen, sich in die Situation Anderer einfühlen zu können und Mitgefühl zu empfinden, Sinn für Freundschaft und für Gerechtigkeit.
- Über die soziale Basis für Selbstrespekt und Würde zu verfügen; als würdevolles gleichberechtigtes Wesen behandelt zu werden. Sicher vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Kaste, Ethnie oder nationaler Herkunft zu sein.
In der Lage zu sein und Möglichkeiten zu haben, zu lachen, zu spielen und erholsame Aktivitäten zu genießen.
In der Lage zu sein, mit und für Tiere, Pflanzen und in Einklang mit der ganzen Umwelt zu leben.
- politisch: In der Lage zu sein, effektiv in politischen Entscheidungsprozessen zu partizipieren.
- materiell: In der Lage zu sein und die Möglichkeit zu haben, über Eigentum zu verfügen (sowohl Land als auch bewegliche Güter zu besitzen), das Recht auf Erwerbstätigkeit zu haben, einer menschenwürdigen Berufstätigkeit nachzugehen, unter Einbezug der eigenen praktischen Vernunft und in guter Beziehung zu Arbeitskolleg*innen.
Referenzbudgets zeigen jene materiellen Ressourcen, die vorhanden sein müssen, damit alle die eigenen Verwirklichungschancen nutzen und sich mit ihren eigenen Talenten, Erfahrungen und Vorstellungen in eine Gesellschaft einbringen und diese mitgestalten können. So können Menschen einen Beitrag für ein gutes Leben leisten – nicht nur für sich selbst, sondern für alle!
Literaturhinweis: Martha C. Nussbaum: Women and Development: The Capabilities Approach, Cambridge 2000